Was können Dinge im Museum über die Geschichte der Sexualitäten erzählen? Diese Frage stellt sich ein interdisziplinäres Forschungsprojekt anhand der umfangreichen alltagshistorischen Sammlung des Deutschen Hygiene-Museums. Im Verbund mit dem Lehrstuhl für Soziologische Theorien und Kultursoziologie an der TU Dresden, dem Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin der Medizinischen Hochschule Hannover und dem Schwulen Museum* Berlin wird den Wechselbeziehungen zwischen Objekten und dem Wissen über Sexualität im 20. und 21. Jahrhunderts nachgegangen. Das Forschungsprojekt umfasst drei Teilprojekte und wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung in der Förderlinie „Die Sprache der Objekte – Materielle Kultur im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen“ gefördert.
Das Deutsche Hygiene-Museum Dresden (DHMD) ist Verbundkoordinator und widmet sich im Teilprojekt „Beziehungsobjekte“ der weiteren Erschließung seines Sammlungsbestandes zur Alltagsgeschichte der Sexualitäten sowie dessen Beforschung. Hierbei stehen zunächst Fragen nach Herkunft, Material und intendierten Funktionen im Mittelpunkt. In einem zweiten Schritt werden Erfahrungen mit diesen Dingen analysiert: welche Praktiken verbinden sich mit ihnen, welches Wissen setzt ihr Gebrauch voraus und welche neuen Wissensbestände entstehen durch ihre Verwendung? Ziel ist es, vom Objektgebrauch auf den Wandel von Beziehungen zwischen Menschen, zwischen Menschen und Objekten sowie zwischen Menschen und ihren Körpern zu schließen. Inwiefern spiegelt sich also in den Alltagsobjekten ein Wandel von Körper- und Sexualpraktiken, Beziehungsformen sowie Körper- und Sexualwissen wider?
Zu den sexualitätsassoziierten Objekten der Sammlung gehören Schutz-, Verhütungs- und Reproduktionsmittel von 1900 bis heute, Sexspielzeuge seit den 1980er Jahren sowie Geschlecht und Sexualität regulierende Medikamente und Hilfsmittel aus der Zeit um 2000. Daneben wird der Bestand nach bisher nicht mit Sexualität in Verbindung gebrachten Alltagsdingen analysiert.
Am soziologischen Institut der TU Dresden befasst sich das Teilprojekt „Konsumobjekte“ aus konsumsoziologischer Perspektive mit der Frage, wie in der Konstruktion moderner Sexualitäten Dynamiken der Kommodifizierung von Lust und Begehren, bevölkerungs-, gesundheits- und sozialpolitische Kontrollambitionen und veränderte Subjektivierungs- und Beziehungsformen zusammenwirken. Im Zentrum steht dabei die Rolle sexualtechnischer Konsumprodukte als Medien der Transformation von sexualitätsbezogenen Wissensbeständen und Praxisformen.
Das Teilprojekt „Optimierungsobjekte“ der Medizinischen Hochschule Hannover erforscht mit Hilfe körperhistorischer Zugänge, wie luststeigernde Objekte im 20. Jahrhundert Vorstellungen von Sexualität und Geschlechtlichkeit, sowie bestehende Normhorizonte veränderten. Ziel des Projektes ist es, die Rolle von Optimierungsobjekten in der Entwicklung einer konsumorientierten Auslebung von Sexualität, die auf Befriedigung und Begehren zielt, zu ermitteln.
Das Schwule Museum* in Berlin fungiert im Forschungsprojekt als beratende Institution und ermöglicht eine kritische Perspektive auf die Geschichte der Sexualität im 20. und 21. Jahrhundert, welche noch immer stark von der Norm der Zweigeschlechtlichkeit und heterosexueller Praktiken geprägt ist. Die Sammlung des SMU* zur queeren Kultur und Geschichte dient begleitend als Forschungsquelle für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt.
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Online-Tagung: „Sexualitäten sammeln. Von Körperpraktiken, Beziehungen und grenzüberschreitenden Objekten“
Im Rahmen des Forschungsprojektes wird die Online-Tagung am 24. und 25. Februar 2021 stattfinden. Informationen zu Programm & Anmeldung finden Sie hier.