Im Zentrum eine junge Journalistin mit Kopfhörern, die sich in einer Ausstellung Notizen macht. Vor und hinter ihr stehen weitere Pressevertreter.

Pressemitteilung

EIN GLÄSERNER MANN VON 1935

Erste konservatorische Maßnahmen haben begonnen

Der erste Gläserne Mensch wurde der Öffentlichkeit vor genau 90 Jahren vorgestellt - am 16. Mai 1930 anlässlich der Einweihung des neuen Gebäudes für das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden. Das durchsichtige anatomische Modell eines Mannes war nach den Plänen des Dresdner Modelleurs Franz Tschackert in den Werkstätten des Museums gefertigt worden und galt damals als eine Sensation des modernen Ausstellungswesens.

Bei der Gläsernen Figur, an der jetzt erste konservatorische Maßnahmen durchgeführt werden, handelt es sich um einen Gläsernen Mann aus dem Jahr 1935. Die Figur war nachweislich in der Ausstellung „Mutter und Kind“ in Stockholm (1936) und in einem eigenen Pavillon im Rahmen der Pariser Weltausstellung (1937) zu sehen. In der Folgezeit wurde sie auf zahlreichen Wanderausstellungen im In- und Ausland präsentiert und in den 1950er Jahren schließlich an eine Hamburger Schaustellerfamilie verkauft. Seit den 1980er Jahren wechselte der Gläserne Mann mehrfach den Eigentümer bis er 2009 zusammen mit einem Anatomischen Wachskabinett aus finnischem Besitz angekauft werden konnte; vorausgegangen waren Recherchen der Dresdner Journalistin Heidrun Hannusch.

Diese wechselvolle Ausstellungsgeschichte lässt sich auf der Kunststoffhaut des Gläsernen Mannes deutlich ablesen: Neben Altersschäden wie Schrumpfungen, Vergilbungen, Brüchen und Fehlstellen hinterließen unsachgemäße Reparaturen mit Klebebändern und einem „Lederschurz“ ihre Spuren. Doch auch das Innere des Körpers ist beschädigt: Ein durch den Alterungsprozess erzeugtes Kondensat enthält Essigsäure, die Metallteile angreift und die Lackschicht der Knochen auflöst. Neben Knochenbrüchen im Skelett weist die Figur insgesamt eine starke Verschmutzung auf.

Seit 2012 werden Geschichte, Herstellung und Zustand dieser und weiterer Gläserner Figuren durch den Restaurierungsstudiengang der Hochschule für Bildende Künste Dresden untersucht. Um diese historischen Artefakte und den Kunststoff Celluloseacetat, aus dem sie gefertigt wurden, genauer zu untersuchen, hat das Museum 2016 ein bis 2021 laufendes, von der VolkswagenStiftung gefördertes Projekt gestartet: „Gläserne Figuren: Ausstellungsikonen des 20. Jahrhunderts Ein interdisziplinäres Forschungskolleg zur langfristigen Bewahrung von Objekten aus Kunststoff“. Kooperationspartner sind neben der Hochschule für Bildende Künste, die Technischen Universität Dresden sowie die Technische Hochschule Köln. Ziel des Projektes ist es, den Alterungsprozess der Gläsernen Figuren besser zu verstehen und Möglichkeiten zu finden, ihn zu verlangsamen.

Im Rahmen des Projekts wurde die Alterung des Kunststoffs künstlich simuliert. Dieses Verfahren lieferte Erkenntnisse über Einflussfaktoren des Umgebungsklimas, insbesondere der Luftfeuchtigkeit und der Temperatur. Weil die Außenhaut der Figuren ganz oder teilweise geschlossen ist, müssen klassische und erprobte Methoden der Konservierung überdacht werden. Daraus resultieren restaurierungsethische Konflikte, die mit Restaurator*innen, Historiker*innen und Museolog*innen im Rahmen der internationalen Tagung „Kunststoffe für die Ewigkeit? Gläserne Figuren und andere Ausstellungsikonen erforschen und erhalten“ diskutiert wurden, die im September 2019 im Deutschen Hygiene-Museum stattfand. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts werden in Dissertationen von Maria Lörzel und Benjamin Kemper dokumentiert sowie in einer Veröffentlichung in der Reihe „Sammlungsschwerpunkte“ des Deutschen Hygiene-Museums im kommenden Jahr publiziert werden.

Für die jetzt beginnenden aktiven Konservierungsmaßnahmen, die auf den Ergebnissen des Forschungsprojekts basieren, wurden Fördermittel des Bundes in Aussicht gestellt. Neben neuen Methoden zur Identifikation von Weichmachern in Celluloseacetat konnten beispielsweise auch Empfehlungen zum Umgang mit diesen komplexen Objekten entwickelt werden. Diese betrafen Fragen von Ausstellung und Lagerung, aber auch Erhaltungskonzepte für einzelne Figuren. Im Fall des Gläsernen Mannes von 1935 sind konservatorische Maßnahmen beispielsweise nur an den Stellen möglich, die durch eine Teilung des Objekts an der Taille zugänglich sind. Dies wirft die restaurierungsethische Frage auf, ob der Alterungsprozess dadurch künftig ungleichzeitig voranschreiten könnte. Die aktuell durchgeführten Arbeitsgänge sind vorrangig konservatorischer und nicht restauratorischer Natur: Die zugänglichen Stellen werden geeinigt, Farbschichten gefestigt, unsachgemäße Reparaturen entfernt und brüchige Skelettteile gesichert.

Darüber hinaus werden Überlegungen angestellt, wie eine adäquate klimatechnische Konservierung der Gläsernen Figuren auch in den Ausstellungen langfristig umgesetzt werden kann. Die klimatische Situation der Gläsernen Figuren im Sammlungsdepot wird durch eine Ertüchtigung und Nachjustierungen der vorhandenen Klimaanlage in den nächsten Monaten optimiert werden; ermöglicht werden diese Maßnahmen durch Bundesmittel im Förderprogramm Investitionen für nationale Kultureinrichtungen in Deutschland.

Foto: Oliver Killig

Foto: Oliver Killig

Foto: Oliver Killig

Foto: Oliver Killig