Gläserne Frau zurück in der Dauerausstellung
Im Rahmen eines Medientermins ist die historische Gläserne Frau heute in die Dauerausstellung des Deutschen Hygiene-Museums zurückgekehrt. Vor drei Jahren war diese wertvolle Figur aus dem Jahr 1935/36 aus der Ausstellung entfernt worden. Der Grund: Hohe Luftfeuchtigkeit und schwankende Temperaturen drohten den Alterungsprozess zu beschleunigen und irreparable Schäden anzurichten. Bei der in den Werkstätten des Hygiene-Museums gefertigten Figur, die über viele Jahre in den USA präsentiert wurde, handelt es sich um eine Dauerleihgabe des Deutschen Historischen Museums in Berlin.
Die im Deutschen Hygiene-Museum erfundenen und hergestellten Gläsernen Figuren sind seit den 1930er Jahren weltweit zu Ikonen für die Verbindung von Wissenschaft und Ausstellungskultur geworden. Um Erkenntnisse für ihren langfristigen Erhalt zu gewinnen, hat das Hygiene-Museum zwischen 2016 und 2022 mit Partnerinstitutionen ein Projekt durchgeführt, in dem diese wertvollen anatomischen Modelle erforscht und Maßnahmen zu ihrer präventiven Konservierung entwickelt worden sind.
Die „Gläsernen Figuren“ bestehen nicht aus Glas, sondern aus dem Kunststoff Celluloseacetat, der im frühen 20. Jahrhundert als innovatives Material galt, inzwischen jedoch erhebliche Alterungsschäden aufweist. Im Rahmen des Forschungsprojekts wurden diese objektgefährdenden Prozesse umfassend naturwissenschaftlich untersucht. Das Forschungsteam entwickelte ein tragfähiges präventives Konservierungskonzept, das auch anderen Museen als Grundlage für den Erhalt von Objekten aus Celluloseacetat - wie z.B. Brillen, Kunstwerke oder auch Moulagen - dienen kann. Empfohlen werden für die Präsentation und Aufbewahrung eine Temperatur von 15–18° C und eine relative Luftfeuchtigkeit von 30–35% rF. Diese Klimawerte sind weder in den Ausstellungsräumen des Museums, noch durchgängig im Sammlungsdepot zur realisieren, nicht zuletzt auch deswegen, weil damit andere Objekte beschädigt würden.
Aus diesem Grund sind die am meisten gefährdeten Objekte aus der Dauerausstellung entnommen worden, die Gläserne Kuh von 1982/83 bereits 2020 und die historische Gläserne Frau dann 2022. Für die Gläserne Frau wurde in einem aufwändigen Pilotprojekt eine eigene Klimavitrine in die bestehende Ausstellungsarchitektur eingebaut. In dieser Maßanfertigung können nun die optimalen Bedingungen für den langfristigen Erhalt des Celluloseacetat-Objekts gewährleistet werden. Für die Lagerung der weiteren Ganzfiguren aus dem Konvolut „Gläserne Figuren“, die nicht in einer Ausstellung des Hygiene-Museums gezeigt werden, ist parallel dazu eine große Klimazelle von etwa 20 m² entstanden. Auch dieser Spezialbereich des Sammlungsdepots bietet nun dauerhaft die optimalen Klimabedingungen.
Fakten zur Klimavitrine
Bei der Klimavitrine handelt es sich um einen eigens für die vorgefundene Situation in der Dauerausstellung geschaffenen Prototypen mit einem Raumvolumen von ca. 4 m3.
Die in der Vitrine angestrebten Klimawerte von 15-18° C und einer relativen Luftfeuchtigkeit von 30-35% rF unterscheiden sich erheblich von denen in der umgebenden Dauerausstellung; in den Sommermonaten beträgt die Temperaturdifferenz beispielsweise 5-7° C, die relative Luftfeuchtigkeit weicht um 20-25% ab. Die Schwankungen in der Vitrine sind dagegen minimal und liegen zwischen 0,1-0,3° C und 0,2-0,4% rF.
Physikalisch bedingt steigt die relative Luftfeuchtigkeit bei sinkenden Temperaturen eigentlich an – in der Klimavitrine muss diesem Prozess technisch entgegengewirkt werden. Um das zu erreichen, sind eine große Dichtigkeit der Vitrine, eine exakte Regeltechnik für Temperatur und Luftfeuchtigkeit sowie ausreichend große Kühl- und Entfeuchtungsgeräte erforderlich. Eine daraus resultierende Herausforderung bestand darin, Erschütterungen und Vibrationen innerhalt und störende Geräusche außerhalb der Vitrine zu vermeiden.
Bedingt durch die Temperaturdifferenz zwischen innen und außen musste die ca. 5 m2 große Scheibe der Vitrine in Doppelverglasung angefertigt werden, um ein Beschlagen zu verhindern. Das Gewicht der Scheibe erhöhte sich dadurch jedoch auf fast 200 kg.
Schließlich war noch eine letzte Schwierigkeit zu überwinden: Die Essigsäure, die aus dem Celluloseacetat und dem Wassergehalt der Luft entsteht, musste aus der Vitrine abgeführt werden. Dies erfolgt über einen Aktivkohlefilter, durch den die Vitrinenluft permanent hindurchgeleitet wird.
Fakten zur Klimazelle
Das Volumen der Klimazelle im Sammlungsdepot beträgt ca. 50 m³. Dort befinden sich aktuell folgende Figuren:
Gläserner Mann aus Celluloseacetat, 1935 (DHMD 2011/38)
Gläserner Mann aus Celluloseacetat, 1962/63 (DHMD 1994/520.1)
Gläserne Kuh aus Celluloseacetat, 1982/83 (DHMD 2001/89)
Gläserner Mann aus Celluloseacetatbutyrat, 1992 (DHMD 2020/611); diese Figur ist momentan zu sehen in der Ausstellung „X-Ray. Die Macht des Röntgenblicks“, Völklinger Hütte (https://voelklinger-huette.org/public/de/ausstellungen/-/x-ray-die-macht-des-roentgenblicks/809)
Gläserner Mann aus Celluloseacetatbutyrat, 1995 (DHMD 2020/612)6)
Gläserne Frau aus Celluloseacetatbutyrat, 2000 (DHMD 2020/585)
Die historische Gläserne Frau von 1935/36
Die erste durchsichtige Figur des Deutschen Hygiene-Museums war der Gläserne Mann, der 1930 bei der Einweihung des neu errichteten Museumsgebäudes präsentiert wurde und seinerzeit als eine Weltsensation galt. Diese Figur ist bei der Kriegszerstörung des Museumsgebäudes 1945 vernichtet worden.
Die historische Gläserne Frau, die jetzt wieder in der Dauerausstellung zu sehen ist, entstand als Auftragsproduktion in den Jahren 1935/36 für den US-amerikanischen Textilfabrikanten Samuel H. Camp. Die Figur wurde in zahlreichen Gesundheitsausstellungen und -museen in den USA präsentiert. 1988 schenkte das Science Center in St. Louis die Gläserne Frau dem neu gegründeten Deutschen Historischen Museum in Berlin. 1990 kehrte sie zurück ins Hygiene-Museum, wo sie eines der zentralen Exponate der Ausstellung „Leibesvisitation. Blicke auf den Körper in fünf Jahrhunderten“ war, die in Kooperation mit dem Deutschen Historischen Museum gezeigt wurde. Aufgrund ihres fragilen Zustands ist sie seither als Dauerleihgabe in der Obhut der Sammlung des Hygiene-Museums geblieben.
Weitere Informationen im Aufsatz „Gläserne Frau von 1935/36“ aus der Publikation Gläserne Figuren. Objekte aus Kunststoff erforschen und erhalten (Sandstein Verlag, 2022), siehe Anlage.
Förderer
Die Entwicklung der Klimavitrine wurde von der Sächsischen Landesstelle für Museumswesen, dem Freundeskreis Deutsches Hygiene-Museums e.V. und von engagierten Besucher:innen im Rahmen einer Crowdfunding-Aktion gefördert; diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.
Das Forschungsprojekt „Gläserne Figuren: Ausstellungsikonen des 20. Jahrhunderts Ein interdisziplinäres Forschungskolleg zur langfristigen Bewahrung von Objekten aus Kunststoff“ wurde gefördert durch die VolkswagenStiftung.
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